Anita Köcke
„Ich habe vorher überall und nirgendwo gelebt. Ich war bis zu meinem 8. Lebensjahr bei Plegeeltern. Dann kam ich weg, war in Erziehungsheimen, dann in Anstalten. Ich habe dem Jugendamt gehört, ich bin ja unehelich geboren.“
Anita Köcke
Anita Köcke wurde am 17. Januar 1925 in Weimar geboren. Da ihre Mutter unverheiratet und berufstätig war, hatte das Jugendamt die Vormundschaft über sie. Anita Köcke musste wechselnd bei Verwandten, in einer Plegefamilie und in Heimen leben. Nach der Schulentlassung absolvierte sie das sogenannte Landjahr auf einem Bauernhof in der Nähe von Gera. Dort wollte sie nicht bleiben, lief weg und musste zu einem anderen Bauer.
„Ich bin mehrere Male einfach weggelaufen. Und das wurde dem Jugendamt gemeldet. Ich habe es nirgends lange ausgehalten, ich war ein Wandervogel. […] Das Jugendamt war hinter mir her, weil ich meiner Meldeplicht nicht nachkam. Und so ist mein Leben verlaufen, ich kam ins Gefängnis und dann von einem Gefängnis ins nächste.“
1943 kam sie als sogenannte >Asoziale< im Alter von 18 Jahren in das Jugendkonzentrationslager Uckermark.
Als Ende 1944 große Teile des Konzentrationslagers geräumt wurden, kam sie in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. In beiden Konzentrationslagern musste sie Zwangsarbeit leisten, unter anderem für Siemens. Bei ihrer Befreiung im April 1945 wog sie noch 79 Pfund.
Über verschiedene Stationen kam sie nach Frankfurt am Main. Bei einer verordneten Untersuchung im Gesundheitsamt Frankfurt stand sie plötzlich einer ehemaligen Aufseherin des KZ Uckermark gegenüber, die sie mit folgenden Worten fortschickte: „Hier weiß keiner darüber [KZ Uckermark], sagen Sie nichts und lassen Sie sich nie wieder hier blicken!“
1972 heiratete Anita Köcke. „Über meine Zeit im Lager habe ich meinem Mann […] von Anfang an erzählt. Ich habe mich nicht geschämt.“
2001 besuchte sie nach über 55 Jahren zum ersten Mal die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Uckermark.
Auf der ersten Gedenkfeier der Initative 2005 sprach sie ganz spontan von ihren Erfahrungen im KZ-Uckermark und der Zeit danach.
Im November 2005 starb Anita Köcke in Frankfurt am Main.
Zitate:
Ankunft im KZ Uckermark
„Ich kam direkt von Neubrandenburg nach Fürstenberg und da hieß es ‚Marsch‘ ins Konzentrationslager. Da wurden die Kofer abgenommen, nichts mehr, da hieß es ausziehen. Da haben wir alle blöd geguckt. Da hieß es Baden, aber das war kein Bad, da wurde man untersucht. Man musste auf einen Stuhl und wurde untersucht, ob man nicht geschlechtskrank war. Furchtbar. Und dann wurden die Haare rasiert. Dann gab es eine Spritze gegen Flöhe oder was weiß ich. Dann wurden wir eingepudert. Meine Sachen habe ich nie mehr gesehen. Dann ging es den Berg hoch, und dann ging es ins Jugendlager. Ich weiß noch, dass ich damals als Einzelne da hoch kam. Und da kriege ich die Nummer 817. So war das. Das war 1942/43. […] Die ersten acht Tage war ich in Quarantäne. Immer mussten Betten gebaut werden. Das war so ein blau-weiß karierter Stoff und das musste 30 oder 35 cm sein und linienmäßig stimmen. Die haben das mit dem Zentimetermaß nachgemessen. Und wehe es hat nicht gestimmt, rausgerissen, noch mal bauen. Und wenn es beim dritten Mal nicht geklappt hat, gab es Essenabzug. Was hab ich Rotz und Wasser geheult.“
(Auszug aus einem Interview während dem Bau- und Begegnungscamp 2001)
Strafen
„Ich wurde häufiger bestraft. Ich war frech und ein Querkopf und habe mir nie etwas gefallen lassen. Das wurde der Lagerleiterin gemeldet. Ich habe dafür auch ordentlich einstecken müssen. Und einmal kam ich zur Bestrafung vierzehn Tage in den Bunker im Frauenlager. Im Bunker war es stockdunkel und es gab nur einen Strohsack. Im Bunker bekam ich nur alle zwei Tage einen großen Kanten trockenes Brot, aber jeden Mittag diesen Fraß von Kohlrübensuppe. Der war dann nicht mehr heiß, aber man hat es gegessen. Das war alles. Und dann gab es aber noch einen Riesenpott Kafee, also so was Ähnliches zumindest und einen Krug Wasser. Man hat es erst getrunken und sich mit dem Rest gewaschen. Das Schlimmste war, dass es immer dunkel war. […] Als Fräulein Leutner mich wieder abgeholt hat, sagte sie: ‚Bist Du jetzt kuriert?‘ Da habe ich kein Wort mehr gesagt. Ich dachte, das machst Du nicht noch einmal.“
(Limbächer, Katja/Merten, Maike/Pfeferle, Bettina: Das Mädchenkonzentrationslager Uckermark. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart. Münster: Unrast 2005, S. 149.)
Entschädigung
„Habe eine kleine Rente, ich bin zu 75% schwerbeschädigt. Durch die vielen Operationen und Krankheit. Ich habe lange Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen. Mit 65 wurde die in Altersrente umgewandelt. Aber ich habe nie einen Pfennig gesehen. Und habe heute eine Rente von 575 Mark. Wenn ich meinen Mann nicht hätte, müsste ich vom Sozialamt leben.„