Klassismus und soziale Ausgrenzung heute
Wie gehen heutige Gesellschaften mit Menschen um, die sich nicht in die Gesellschaftsordnung einfügen wollen oder können? Der Begriff ›asozial‹ ist auch heute noch ein gängiges Schimpfwort. Er ist oft eng verbunden mit einer Art der Ausgrenzung, die heute als Klassismus bezeichnet wird. Einige Beispiele dafür sind:
Armut
Armut wird oft als individuelle Schuld betrachtet. Tatsächlich stellt Armut vielfach eine Form struktureller Gewalt dar, mit der geringe Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe und Bildung einhergehen.
Heimerziehung
Kinder und Jugendliche werden nach wie vor von Behörden als „schwer erziehbar“ kategorisiert. Sie erfahren auch im heutigen „Hilfesystem“ Gewalt, etwa wenn Erzieher*innen ihre Überlegenheit missbrauchen, oder wenn Kinder und Jugendliche gegen ihren Willen in die geschlossene Heimunterbringung kommen.
Ausgrenzung gestern und heute: Radio-Interview zu Klassismus
Die Bezeichnung >asozial< wird auch in der Gegenwart noch als Abwertung benutzt, zum Beispiel für arme Menschen, Arbeitslose und Wohnungslose. Abschlussklassen in Schulen führen in ihrer Mottowoche den ‚Assi-Tag‘ ein und wiederholen dadurch ein abwertendes und verzerrtes Bild von armen Menschen immer wieder. In vielen Medien werden stereotype Bilder gezeichnet, zum Beispiel von ‚Hartz-IV-Empfänger*innen‘. Menschen mit wenig Geld werden von der Politik systematisch benachteiligt – zum Beispiel durch Hartz IV. Auch Menschen ohne formellen Bildungsabschluss werden oft nicht ernst genommen. Das sind nur einige wenige Beispiele für die Diskriminierungsform Klassismus.
In der Uckermark Initiative und auf den Baucamps hat die Auseinandersetzung mit Klassismus und sozialer Ausgrenzung eine wichtige Rolle. Daher haben wir im Rahmen der digitalen Aktionstage zum Gedenkort Uckermark im Sommer 2020, die anstelle eines Baucamps stattfanden, ein Interview mit Tanja Abou geführt. Tanja Abou ist Teil des Instituts für Klassismusforschung und beschreibt sich selbst als pädagogische Tresenkraft, absichtlich gescheiterte Studentin, Sozialarbeiterin, queere Poverty-Class Akademikerin, Social-Justice-Trainerin und Kinderbuchautorin.
In diesem Interview haben wir sie unter anderem gefragt, was Klassismus eigentlich bedeutet, warum es wichtig ist, darüber zu reden und was das mit der Geschichte des ehemaligen Jugendkonzentrationslagers Uckermark zu tun hat.
Vielen Dank, liebe Tanja, für dieses spannende Interview!
„Ich habe die Auswirkungen von Klassismus in meinem Aufwachsen und auch heute noch sehr stark gespürt. Ich hatte sehr lange kein Wort dafür. Als ich an einem Social-Justice-Training von Lea Czollek teilgenommen habe, wurde über Klassismus gesprochen. Ich hatte das Gefühl, dass sich eine Lebenserfahrung und eine strukturelle Gewalt plötzlich auf ein Wort zusammenfassen lässt. Das war für mich ein extrem berührender und empowender Moment.“
– Tanja Abou im Interview mir der Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark, 08.08.2020
Wie im Interview erwähnt, bietet zum Beispiel auch die Gruppe „Klassismus ist keine Kunstepoche“ (kikk) Workshops, Vorträge, Beratung und Infos zu Klassismus an und schafft Räume, um sich gemeinsam zu organisieren.
Flyer zum Thema Linke Politik und akademische Sprache
Im Frühjahr 2016 hat die Initiative für einen Gedenkort KZ Uckermark den Flyer „Linke Politik und akademische Sprache – Offener Brief zu Klassismus auf linken Veranstaltungen“ herausgegeben. Hier nun die überarbeitete Version von 2019.