Textcollage „Stimmen des Gedenkens“
Zur Gedenkfeier anlässlich des 77. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers und späteren Vernichtungsortes Uckermark am 30. April 2022
Wir haben weit über 100 Gruppen und Einzelpersonen drei Fragen gestellt:
Weshalb ist Gedenken an die nationalsozialistischen Verbrechen heute noch wichtig? Welche Themen sind dir/euch als Antifaschist_innen heute besonders wichtig? Hat sich der gesellschaftliche Zusammenhang verändert in den letzten Jahren?
Hier stellen wir die Rückmeldungen vor: Ihr könnt sie einzeln hören oder als Text lesen, wenn ihr auf die Kacheln klickt. Oder ihr hört euch in unserer Materialsammlung den gesamten Podcast an.
Habt ganz herzlichen Dank dafür!
Maja Simoneti, Tochter von Stanka …
… Krajnc Simoneti, die als slowenische Partisanin im Jugend-KZ Uckermark inhaftiert war:
(English Original below /unten)
(…) Stanka lebt immer noch zu Hause und wird im Alltag von [ihrer Enkelin] Meta unterstützt. Sie verbringt die meiste Zeit in der Wohnung, sie liest und stöbert in ihren Archiven und Erinnerungen. Sie sieht sich nach wie vor die Nachrichten an und verfolgt die Tagespolitik. An den meisten Wochenenden essen wir mindestens einmal gemeinsam mit den beiden Kindern zu Mittag. Dabei plaudern und streiten wir lebhaft und versuchen, die gemeinsame Zeit mit ihr so gut wie möglich zu nutzen. Mein älterer Bruder Marko, der zwei Kinder (Nada und Luka) und bereits drei Enkelkinder hat, kommt regelmäßig zum wöchentlichen Kaffee. Sie [Stanka] genießt die Zeit mit der Familie am meisten. Von den Kleinen ist sie überwältigt. Mit dem kommenden Frühling wird sie wohl wieder öfter auf einen Kaffee und ein Pläuschchen rausgehen.
Aber Uckermark, Uckermark ist immer da. Sie hat zwar beschlossen, dass ihre Zeit dort ihr zukünftiges Leben nicht bestimmen sollte, aber es ist offensichtlich, dass sie die Erfahrungen, die sie dort gemacht hat, so prägen, dass sie immer und überall präsent sind. Im ganzen Wohnzimmer sind kleine Erinnerungsstücke, Bücher, Bilder und Briefe zu finden. ‚Ich war gebrochen‘, sagt sie immer wieder, um so viele Dinge, Entscheidungen und Reaktionen zu erklären. Sie bezieht sich damit nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf heutige Situationen. Als sie im September 1945 zurückkam, war sie nicht mehr dasselbe Mädchen wie vorher. Das Mädchen, das es vor lauter Neugierde nicht erwarten konnte, zur Schule zu gehen – sodass ihr Vater die Lehrerin überredete, sie ein Jahr früher einzuschulen. Das Mädchen, das später von derselben Lehrerin eine Empfehlung für das Gymnasium erhielt. Nach dem Krieg verdrängte sie die schweren Erinnerungen, wie die meisten Menschen in dieser schrecklichen Nachkriegszeit. Sie machte sich mit aller Kraft daran, ihr Leben weiterzuleben. Sie beendete die Schule, schrieb sich an der Universität ein, wurde Ärztin, lernte die Welt und die Menschen kennen, gründete eine Familie und schuf ein Zuhause. Und jetzt sind wir hier, ihre Kinder und Enkelkinder. Und wir haben keine Wahl: Wir nehmen sowohl an ihrer schwersten Lebenserfahrung als auch an ihren schönsten Tagen teil. Das Trauma ist noch nicht verarbeitet. (…) Stanka lässt grüßen und freut sich, dass wir in Kontakt sind.
Herzliche Grüße, Maja
The Trauma is still being processed
Maja Simoneti, daughter of Stanka Krajnc Simoneti, incarcerated as Slovenian partisan in the Uckermark Youth Concentration Camp:
(…) Stanka is still living at home with the everyday assistance of Meta. She spends most of the time in the house reading and browsing through her archives and memories. She still follows news and daily politics. Most of the weekends we would have at least one lunch together with both of the kids. We chat and argue lively, trying to use the time together with her in the best way possible. My older brother Marko, having two children (Nada and Luka) and already three grandchildren of his own would come regularly for a week’s coffee. She enjoys family time most of all and is overwhelmed by the little ones. With the spring coming she will probably again go more often out for a coffee and chat.
But Uckermarck, Uckermarck is there around all the time. It is obvious that no matter her decision that the time there will not be her main life preoccupation the experience was so strong it is present everywhere all the time. Little pieces of memories, books, pictures, letters, are present all around her living room. „I was broken“, she keeps saying in explanation of so many things, decisions, and reactions not only relating to the past but also to nowadays situations. Coming back in September 1945 she just wasn’t any more that girl too curious to wait for the school that her father would deal the teacher to enrol her a year early and that later the same teacher would advise to send her to the gymnasium. And after the was she, as most of the people in those terrible post-war times, discarded hard memories and set out with all her might to go on living her life, finish school, enrol in university, become a doctor, get to know the world and people, start a family, and a home. And here we are, her children and grandchildren having no choice in being part of her hardest life experience as well as her most beautiful days. The trauma is still being processed. (…)
Stanka sends greetings and is happy we are in touch. I will try sending some pictures.
Kind regards, Maja
Narben, die nie heilen werden
Jaka Smerkolj Simoneti, Enkel …
… von Stanka Krajnc Simoneti, die als slowenische Partisanin im Jugend-KZ Uckermark inhaftiert war:
(English Orignal below / unten)
Ich weiß jetzt, dass es Narben gibt, die nie heilen werden. Narben, die nicht durch Zufall, Unglück oder unvermeidbare Umstände entstanden sind. Ich sehe diese Narben, wenn ich mit meiner Großmutter zu Mittag esse. Sie kämpft mit dem Gedanken, dass Lebensmittel verschwendet werden könnten, dass dies überhaupt denkbar ist. Ich sehe diese Narben, wenn wir fernsehen und ich mir dabei bewusst mache, dass sie das Glück hat, in einem Alter zu sein, in dem ihr viele Dinge eigentlich keine Sorgen mehr machen müssten. Doch sie tun es immer noch; jedes Mal, wenn sie mich anschaut. Ich sehe diese Narben in der Angst, die sie um mich hat, und ich sehe sie in meiner eigenen Angst – weil ich genau weiß: Ich hätte das nicht überlebt. Die Zeit vergeht, aber diese Narben sind geblieben. Bei mir sind sie nicht so ausgeprägt wie bei meiner Mutter oder, natürlich, bei meiner Großmutter. So verläuft der Heilungsprozess, aber so nimmt auch das Vergessen zu. Deswegen müssen wir uns an diese Narben erinnern. Immer, wenn wir essen; immer, wenn wir etwas [ein Unrecht] sehen und uns entscheiden, zu schweigen; immer, wenn wir glauben wollen, dass uns etwas nichts angeht. Diese Narben dürfen nicht vergessen werden. Wir müssen sie in unsere Herzen einritzen, wohl wissend, dass wir in einer Welt leben, in der [der Gedanke] ‚das ist doch alles vorbei‘ eher ein Wunsch als Realität ist. Wenn wir unter der beruhigenden Sonne spazieren gehen, müssen wir uns daran erinnern, dass wir genauso jung sind, wie sie es waren. Und dass auch unser Leben, unsere Freiheit, unsere Realität so leicht wegrutschen kann, wie die ihre. Sie waren Menschen, keine Seiten in Lehrbüchern. Sie lebten ein Leben und produzierten keine Stories für Dokumentarfilme. Die Welt war in Farbe, nicht in Schwarz-Weiß. Der Schmerz und die Angst waren real, nicht nur Erinnerungen, die bei einem gemeinsamen Essen erzählt werden.
Scars that will never heal
Jaka Smerkolj Simoneti, grandson of Stanka Krajnc Simoneti, incarcerated as Slovenian partisan in the Uckermark Youth Concentration Camp:
I know now that there are scars that will never heal. Scars that were not created by chance, misfortune or unavoidable circumstances. I see these scars as I eat lunch with my grandmother. She struggles with the idea that food could be wasted, that this is a possibility. I see these scars as we watch TV knowing she is blessed to be of an age when many things do not need to concern her anymore. They still do, every time she looks at me. I see these scares in the fear she has for me and I see them in my own fear knowing very well “I wouldn’t have survived.” As time moves on these scars remain. They are not as prominent in me as they are in my mother or, of course, my grandmother. Such are the process of healing as well as forgetting. This is why we must remember these scars. Remember them every time we eat, every time we see and choose to remain silent, every time we want to believe that this does not concern us. Such scars must not be forgotten, we must scratch them into our hearts knowing full well that we are facing a world where »that’s in the past« is more of a wish, than a reality. We must remember as we walk under the soothing sun that we are just as young as they were and that our lives, our freedom, our reality could just as easily slip away as it did for them. They were people, not pages in textbooks, they had lives not stories for documentary,the world was in colour, not in black and white, the pain and fear were real not just memories told over a shared meal.
Ingelore Prochnow wurde im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück geboren
Es ist für mich keine Frage, auch 77 Jahre nach Kriegsende ist es genauso wichtig wie in all den Jahren zuvor, an die nationalsozialistischen Verbrechen zu erinnern.In diesem Jahr haben wir uns erinnert, dass im Januar vor 80 Jahren auf der „Wannsee-Konferenz“, mit unglaublicher Nüchternheit, mit deutscher Gründlichkeit und bürokratischer Sorgfalt die Vernichtung, die „Endlösung“ von 11 Millionen europäischen Juden beschlossen wurde. Wie kann diese Erinnerung an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte jemals als beendet gesehen werden? Wir sind diejenigen, die dem Vergessen entgegenwirken müssen. Die letzten Zeitzeugen sterben aus, aber das Wissen um die Verbrechen muss immer wieder neu an die nächste Generation weitervermittelt werden. Das schulden wir den ermordeten und gequälten Menschen – jedes Opfer eines Mordsystems ist der Erinnerung würdig.
Vielleicht ist es heute sogar noch wichtiger als jemals zuvor. Fast täglich begegnen wir Menschenverachtung, Rassismus, Antisemitismus, Leugnung, Verharmlosung oder Verzerrung unserer Geschichte, offenem Hass, bis zu politisch motiviertem Mord oder Morddrohungen in den sozialen Medien. Wie schnell kann aus digital angekündigter Gewalt physische Gewalt werden. Vieles gilt heute wieder als normal und sagbar, was niemals normal sein darf und wir dürfen uns nicht daran gewöhnen. Gedenken heißt für mich erinnern, mahnen und aufklären über die damaligen Verbrechen, historische Orte bewahren. Aber alles das reicht nicht, wir müssen aktiv und beharrlich sein, gegen den erstarkenden Rechtsradikalismus, wachsam und kämpferisch, müssen alles dafür tun, dass nie wieder Krieg und Faschismus entstehen können. Jeder mit seinen Fähigkeiten.
Die Ravensbrücker Häftlingsfrauen, meine „Lagermütter“, haben schon dafür gekämpft und solange ich lebe, ist das auch meine Verpflichtung.
Mir scheint, dass sich unser gesellschaftliches Zusammenleben in den letzten Jahren verändert hat, nicht zuletzt durch die aufgeheizte Atmosphäre während der Corona-Pandemie, die sich scheinbar als Nährboden für extremistische Ideologien und Radikalisierung entwickelt hat. Menschen sind verunsichert und frustriert von den politischen Entscheidungen und Einschränkungen, wissen nicht mehr, wem oder was sie vertrauen sollen und machen ihrem Unmut in Protestdemonstrationen Luft. Rechte Gruppierungen durchsetzen diese Demonstrationen und nutzen die Gunst der Stunde, um Zwietracht zu säen und Hass und Hetze zu verbreiten. Die Meinungsäußerung gehört zu den Grundrechten einer Demokratie, aber Hass ist keine Meinung.
Da laufen Neonazis neben Afd-Funktionären, Querdenker neben Reichsbürgern. Diese „Mitläufer“ lassen sich kaum verhindern, solange es ein Demonstrationsrecht in Deutschland gibt. Aber es kommt bei diesen Demos immer öfter zu Gewalttaten, Drohungen und Einschüchterungen, Angriffen auf die Pressefreiheit, zu Fackelzügen, die an dunkle Stunden deutscher Geschichte erinnern. Manche tragen den gelben Davidstern, dieses menschenverachtende Nazi-Symbol, von Corona-Diktatur und -Tyrannei ist die Rede, antisemitische Verschwörungstheorien werden verbreitet. Dann ist die Grenze zur Volksverhetzung überschritten, das hat für mich nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun. Hetze gab es schon früher, ist aber in der Zeit der Pandemie noch aggressiver geworden. Sicher sind nicht alle Teilnehmer an diesen verharmlosend genannten „Lichterspaziergängen“ Rechtsradikale. Genauso falsch ist die Annahme, dass es sich ausschließlich um harmlose Spaziergänge gegen die Corona-Impfpolitik handelt. Aber es wäre brandgefährlich, den wachsenden Einfluss von Rechtsextremisten zu ignorieren. Mit den ernsthaft Besorgten und den Impfgegnern muss man ins Gespräch kommen, auch wenn manch abstruse Begründung ihrer Ablehnung oft nicht nachzuvollziehen ist.
Ob das schon eine Spaltung ist oder ob man es nur „Risse“ nennt, die durch unser Land gehen, kann ich nicht beurteilen, das wird vielleicht erst die weitere Zukunft zeigen. Trotz aller gegensätzlichen Meinungen ist es notwendig und wichtig im Dialog zu bleiben, in den Familien, mit Freunden und Bekannten, Arbeitskollegen, in den Schulen. Aber ein friedliches Austauschen von Meinungen kann es nur geben, wenn wir einander respektvoll und tolerant begegnen.
Anna, Mitglied der Uckermark-Initiative (44 Jahre)
Meine beiden Großväter und meine Urgroßmutter wurden von den Nazis als Antifaschist_innen eingesperrt. Ein Urgroßvater musste emigrieren. Mein ganzes Leben schon spielte dieses antifaschistische Engagement eine große Rolle. Da wird sich auch den Rest meines Lebens nicht mehr verändern.
Neben der Gefahr, die von bewaffneten Rechtsterrorist_innen ausgeht, macht mir Sorge, dass die deutsche antifaschistische Bewegung keine passenden Analysen der „Querdenker“-Bewegung und daher auch keine Antworten darauf hat. Auch das Erstarken antisemitischer „Vorfälle“ auf den Straßen, als auch im Internet besorgt mich sehr. Es wird sehr schwer werden, den Verschwörungstheorien inhärenten Antisemitismus zurückzudrängen. Wir müssen mehr Solidarität mit jüdischen Menschen organisieren! Gleiches gilt für Menschen, die von Rassist_innen aus der Bevölkerung und Polizeiapparat angegriffen wurden. Auch hier könnte die antifaschistische Bewegung mehr tun. Meine Hoffnung ruht sehr auf jungen Antifaschist_innen, die ihren eigenen Weg gehen.
Ich beobachte in vielen neoliberal organisierten Gesellschaften gerade ein Schwinden des Zusammenhalts. Das gilt für Deutschland wie die USA unter Trump und auch Israel. Selbst liberale Selbstverständlichkeiten wie eine unabhängige Justiz und Presse werden in EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn und Polen, ganz zu schweigen von autoritären Ländern wie der Türkei unter Erdoğan oder Russland unter Putin, ausgehöhlt. In Deutschland finde ich die Verfestigung des rechten Randes seit Pegida erschreckend. Selbst konservative Politiker_innen werden in Sachsen bedroht. Ich fürchte sehr, dass die rechtsterroristische Gefahr, die sich in den Attentaten des NSU, dem Mord an Walter Lübcke, den Anschlägen von Halle und Hanau zeigte. Ich denke, dass es großer Teil der „Querdenker“ und „Verschwörungsgläubige“ auf absehbare Zeit für die Demokratie verloren ist. Die Gewalt, die von Maskenverweigern ausgeht, macht mir Sorgen. Fatal ist auch, dass neoliberale Regierungen ihre Politiken an den Interessen der Reichsten ihrer Gesellschaften ausrichten. Das zeigt sich meiner Ansicht nach sowohl in der Ausrichtung der Pandemiepolitik an den vermeintlichen Interessen „der Wirtschaft“, als auch an der Unfähigkeit, die schon jetzigen Auswirkungen der Klimakatastrophe auf sehr viele Menschen weltweit schon jetzt anzuerkennen und auch nur ansatzweise die Politik danach auszurichten. Die Verwerfungen, die der Putinsche Angriffskrieg gegen die Ukraine verursacht, sind überhaupt noch nicht abzusehen. Weder allgemein noch innenpolitisch. Wir steuern auf enorm unsichere Zeiten zu. Sicher geglaubte Marker verschwinden: Nie im Leben hätte ich geglaubt, dass Russland sein Nachbarland Ukraine überfallen würde! Viele linke Bewegungen müssen ihren politischen Kompass komplett neu ausrichten. Das gilt nicht nur für sog. Anti-Imps. Die Soli-Arbeit für ukrainische Geflüchtete wird viel Kraft kosten. Rassismus, der schon immer existierte, die Unterscheidung zwischen „guten“ weißen, christlichen Frauen und Kindern aus der Ukraine und „bösen“ syrischen, kurdischen, afghanischen, muslimischen Geflüchteten, wird jetzt unverhohlen ausgesprochen. Aber mit dem Zuzug weiterer Geflüchteter aus der Ukraine wird auch der antislawische Rassismus wieder zum Vorschein kommen. Es gilt, nun nicht zu verzweifeln. Es bleibt umso wichtiger, auf einem konsequenten Antifaschismus zu bestehen, sich selbst zu bilden und aufzuklären über osteuropäische Geschichte. Ganz wichtig ist es auch, die Solidarität mit Geflüchteten und Bedrohten aus anderen Weltgegenden hochzuhalten. Sich nicht in vermeintlichen Gegensätzen aufzureiben und ausspielen zu lassen. Sich einzusetzen für Kurd_innen aus Rojava, Gefangene in türkischen Gefängnissen, auf der Balkanroute Gestrandete, in Moria Internierte, Roma überall und von Rassismus Betroffene in Deutschland.
Ehemalige Initiative 9.Oktober Halle
Erinnerung ist das erste. Erinnerung an die, die gestorben sind und an die, die unter diesem brutalen Herrschaftssystem gelitten haben. Wir kennen nicht alle ihre Namen und es wären zu viele, um sie alle auszusprechen. Diese Erinnerung ist eine Verpflichtung, sich dafür einzusetzen, dass ähnliches nicht mehr geschieht.Die Befreiung vom Nationalsozialismus und die Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager war nur militärisch möglich. Es ist wichtig, auch das immer in der Erinnerung zu behalten.
Die Erinnerung an die nationalsozialistische Herrschaft ist deshalb so wichtig, weil die gesellschaftlichen Voraussetzungen dieser Herrschaft noch immer bestehen. Eine Aufarbeitung der Vergangenheit, die diese Entstehungsbedingungen überwunden hätte, hat nicht stattgefunden. Die bestehende Gesellschaft ist weiterhin ein System objektiven Zwangs, das systematisch Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung beinhaltet und hervorbringt. Damit bestehen auch die gesellschaftlichen Bedingungen weiter, die zu den Ideologien führen, auf denen die nationalsozialistische Weltanschauung beruhte. Falsche Erklärungen oder Rechtfertigungen für Herrschaft und Elend wurden in antisemitischen und rassistischen Ideologien gesucht und, wie hier im Jugendkonzentrationslager für Mädchen und im Vernichtungsort für Frauen Uckermark auf traurige Weise deutlich wird, auch in frauenfeindlichen und sozialdarwinistischen Ideologien. Der Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019 zeigt in einer Reihe mit vielen weiteren antisemitischen, rassistischen, frauenfeindlichen und sozialdarwinistischen Taten und Anschlägen, wie gefährlich diese ideologischen Potentiale weiterhin sind.
Für uns als Gruppe, die sich mit der Erinnerung an den Anschlag von Halle beschäftigt, ist es besonders wichtig, die verschiedenen ideologischen Elemente, die in dem rechten, neonazistischen Weltbild des Täters vorhanden sind und die in dem rechtsterroristischen Anschlag in brutale Gewalt umgesetzt wurden, in ihrer jeweils spezifischen Bedeutung zu berücksichtigen. Wir wollen dazu beitragen, eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Ursprüngen und Bedingungen zu führen, die Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus, Frauenfeindlichkeit und Sozialdarwinismus hervorbringen. Es ist für uns deshalb wichtig, diese ideologischen Elemente in ihrer jeweiligen Besonderheit und ihrem Verhältnis zueinander und zu den gesellschaftlichen Verhältnissen zu analysieren und zu kritisieren. Zusätzlich bleibt es nach wie vor wichtig und notwendig sich über die eigene Analyse und Kritik hinaus, auch konkret gegen Neonazis oder Faschist*innen zur Wehr zu setzen.
Das bestehende gesellschaftliche Herrschaftssystem beruht seit seinen Anfängen auf Gewalt und Zwang und bringt daher immer wieder auch Gewalt, Zwang und autoritäres und ideologisches Denken und Handeln hervor. Diese Tendenzen werden umso stärker, je stärker die Krisen in ihren Auswirkungen werden. Das ist das, was wir gegenwärtig erleben. Wir leben in einer Zeit, in der verschiedene Krisen gleichzeitig immer größere Ausmaße annehmen und die gesellschaftlichen Folgen zunehmen. Umso drängender wird die Verpflichtung, die aus der Erinnerung hervorgeht, sich für eine Gesellschaft einzusetzen, die möglichst frei ist von Zwang, und die zugleich die Abhängigkeit aller von allen anerkennt und die demokratisch durch alle geregelt wird.
Freundeskreis im Gedenken an die rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992
Für uns sind die Erinnerung und das Gedenken an die nationalsozialistischen Verbrechen deshalb so wichtig, weil die Geschichte einer/eine+s jeden der Verfolgten, der Inhaftierten, der Überlebenden untrennbar mit unserer verbunden ist. Die Erzählungen und die Worte der Überlebenden sind für uns Ausgangspunkt für jede Frage nach Gerechtigkeit, ihre Stimmen erinnern uns an die Gewalt im NS, die Ausgrenzungen und die Verfolgungen, die unzähligen, millionenfachen Morde. Sie sind aber auch die Fragen nach Gerechtigkeit, ausgegrenzten Geschichten und Personen und Gewalt in der gegenwärtigen Gesellschaft. Damit ist Gedenken immer auch gelebte Kritik an der Gesellschaft heute. Im Heute brauchen wir die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft, alle Zeiten. Wir brauchen die Erinnerungen und Geschichten der Überlebenden um Fragen an das Heute, unsere Gegenwart zu stellen, um zu verstehen, was passiert. So fordern die Erzählungen der Überlebenden etablierte Erzählungen einer „erfolgreichen Wiedergutmachung“ heraus. Ihr selbstgestaltetes, selbstbestimmtes, sichtbares, solidarisches und empowerndes Gedenken fordert staatstragende Erinnerungspolitiken heraus. Es benennt Zuschreibungen, Ausgrenzungen und Kontinuitäten. Gedenken bedeutet für uns, sich mit Überlebenden und Betroffenen zu verbünden. Die Zeug:innenschaften für die erfahrene Gewalt zu vervielfältigen. Deswegen fragen wir uns nach wie vor: Wem hören wir zu? Was stellen wir der strukturellen Gewalt entgegen? Welche Erzählungen gilt es zu verändern? Welche Gerechtigkeiten brauchen wir heute? Und mit wem verbünden wir uns darin? Dabei bleiben Antworten aus der Betroffenenperspektive die Grundlage unseres Gedenkens. Uns sind Fragen wichtig: Vielschichtigkeit von Marginalisierung, Diskriminierung und (nicht nur struktureller) Gewalt, die Verwobenheit des Gestern und des Heute lassen mich/uns etwas demütig sein, wenn es um „laute“ Antworten geht. Unsere wichtigsten Themen/Fragen sind: Wie können wir uns, trotz Verschiedenheiten, trotz unterschiedlicher Privilegien, trotz erlittener Verletzungen, erfahrener Diskriminierungen, trotz teils unterschiedlicher Standorte in etwas Gemeinsamen verorten? Wie können wir miteinander gleichermaßen solidarisch wie kritisch fragend sein, uns reiben, uns auseinandersetzen, ohne aus dem Auge zu verlieren, dass wir uns in all dem brauchen? Wie können wir die „traditionsreichen“ Unzulänglichkeiten der antifaschistischen Linken verändern, um uns gegenseitig im Kampf gegen Neofaschismus, gegen rechte rassistischen, antisemitischen, ableistischen, gegen Sintizze und Romnja sowie LGBTIAQ+ gerichteten Gewalt und ihre strukturellen Ausprägungen zu unterstützen? Und uns sind die Geschichten von Überlebenden und Betroffenen und die Formen ihres Erzählens wichtig. Welche Rolle Zeit und ein anderes Verständnis von Zeit im Gedenken und im Alltag spielt. Wie Trauma die Vorstellungen von Zeit und Raum und Körpern verändert und es noch so wenig Verständnis darüber gibt, wie Traumata die Welt „auf den Kopf“ stellen. Solidarität bedeutet auch, sich angreifbar oder verletzlich zu machen. Das ist eine der schwierigsten Aufgaben, deshalb ist es auch immer wieder schwierig, die zu leben.
„Gedenken ist für mich die reinste Form des Erinnerns. Gedenken ist für mich Solidarität mit Betroffenen auf Augenhöhe, es ist ein politischer Prozess mit der Gesellschaft, aber auch mit uns selbst. Es bedeutet die Betroffenen und Angehörigen anzuerkennen, es bedeutet heute über das Vergangene zu sprechen, das Gegenwärtige in den Vordergrund zu holen und die Zukunft einzufordern.“ Ibrahim Arslan
initiative kritisches gedenken aus Erlangen
Liebe Initiative Gedenkort KZ Uckermark, wir als antifaschistische initiative kritisches gedenken haben uns gegründet, um Shlomo Lewin und Frida Poeschke zu gedenken. Sie wurden am 19. Dezember 1980 in Erlangen von einem Neonazi der Wehrsportgruppe Hoffmann aus antisemitischen Motiven erschossen. Shlomo Lewin war 1935 der nationalsozialistischen Verfolgung durch Emigration entkommen und erst 1960 nach Deutschland zurückgekehrt. Vor seiner Ermordung beteiligte er sich maßgeblich am Wiederaufbau jüdischen Lebens in Franken und äußerte sich immer wieder öffentlich gegen die Gefahr, die damals auch noch von alten Nazis, vor allem aber von Neonazis ausging. Als Vertreter der jüdischen Gemeinde – und damit auch als Vertreter von Überlebenden der Shoa – sprach er 1977 in Nürnberg auf einer Protestkundgebung gegen einen geschichtsrevisionistischen ‚Auschwitz Kongress‘. Wir zitieren Auszüge aus seiner Rede:
„Wir haben das Fürchten verlernt, wir wollen mit in die vordersten Reihen gehen, um denen, die die Juden zu Millionen vernichtet haben, die Wahrheit ins Gesicht zu schreien, damit sie nie wieder den Mut [haben] von einer Auschwitz-Lüge zu sprechen […]. Was können das für Kreaturen, für Unmenschen […] sein, die Mord und Vernichtung einfach unter den Tisch wischen wollen. Die in der Geschichte ein Loch reißen wollen, um das dann zuzustopfen mit Verleumdungen und Lügen. […] Meine Freunde und Mitbürger, für uns gibt es meist nur Erkenntnis aus der Vergangenheit, nur einen einzigen Weg, den wir gehen müssen. […] Wir müssen versuchen, diese Menschen aufzuspüren wo immer sie sind, um sie hinauszudrängen. Sie müssen in die Isolation gehen. Sie müssen geschändet und geächtet werden. Wir müssen sie entdecken, wir müssen sie enthüllen. Wir müssen ihre Schandtaten und Lügen […] aufzeigen. Die Menschen müssen aufwachen und sehen, welche Gefahr von dieser Gruppe, von diesen Faschisten wieder auf uns zukommt, wenn wir nicht hart bleiben, wenn wir nicht ständig zu jeder Stunde, zu jeder Minute, achtgeben auf das was sie tun. Wir müssen ihnen das Handwerk legen“.
Lewins Protest richtete sich gegen die Verleugnung der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung – gegen die Verleugnung der Vergangenheit durch diejenigen, die am Fortleben dieser Vergangenheit interessiert sind. Er stand für eine Erinnerung der Vergangenheit ein, die vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung von Verfolgung, Entrechtung und Vernichtung die Gefahr ernst nimmt, die in der Gegenwart von alten und neuen Nazis ausgeht und diese entschieden bekämpft. In seiner Rede macht er deutlich, dass diese Gefahr nicht erst von organisierten Nazis ausgeht, sondern schon davon, dass Antisemitismus in der gesamten Gesellschaft bis hinein in staatliche Behörden weit verbreitet ist und akzeptiert wird. Drei Jahre später wurde er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke von denselben Neonazis, vor denen er ausdrücklich gewarnt hatte, ermordet. Seine Warnungen und die Warnungen vieler anderer waren überhört oder einfach ignoriert worden. Als Opfer wurden Lewin und Poeschke öffentlich diskreditiert, ihre Ermordung wurde nie vollständig aufgeklärt und das Attentat geriet für lange Jahre in Vergessenheit.
Wenn wir heute Shlomo Lewin und Frida Poeschke gedenken, dann tun wir das vor dem Hintergrund des historischen Nationalsozialismus und dessen verschleppter, verweigerter und unvollständiger Aufarbeitung nach 1945. Wenn wir heute an die Anschläge von Halle und Hanau, an die Ermordung von Walter Lübcke, an das OEZ-Attentat in München oder die Morde des NSU erinnern, dann tun wir das vor dem Hintergrund der rechtsterroristischen Anschläge der 1980er und 1990er Jahre und deren verschleppter, verweigerter und lückenhafter Aufarbeitung. Die Kontinuität des rechten Terrors in Deutschland nach dem Ende des zweiten Weltkriegs hat ihren Grund darin, dass die Bedingungen der Gewalt weiter existieren und ihre gesellschaftlichen Ursachen nicht beseitigt worden sind. Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus, Sozialdarwinismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Antifeminismus und Misogynie sind auch heute noch gesamtgesellschaftlich fest verankert. Und wie wir zuletzt zum Beispiel an der sogenannten „Querdenken“-Bewegung sehen konnten, tragen gesellschaftliche Krisen zur weiteren Verbreitung und zur Verstärkung des Gewaltpotentials solcher menschenfeindlichen Ideologien bei.
Betrachten wir die Geschichte des Nationalsozialismus und die Kontinuität rechter Gewalt in Deutschland nach 1945 kritisch, dann können wir nicht überrascht sein, wenn es in Zukunft wieder zu rechten Anschlägen kommt. Aber wir müssen dennoch alles dafür tun, sie unmöglich zu machen. Dafür muss sich unser Gedenken gegen jegliche Entpolitisierung richten. Die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und historischen Bedingungen rechter Gewalt ist eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, diese Bedingungen abzuschaffen. Das bedeutet für uns, dass Gedenken nie nur für sich alleinsteht, sondern dass es ein Teil von antifaschistischer und linker Praxis sein muss. Es liegt an uns, wie Shlomo Lewin gesagt hat, den Nazis das Handwerk zu legen, wo immer sie sich zeigen und sich organisieren. Und es liegt an uns, Ausbeutung, staatliche Gewalt und Diskriminierung im Alltag zu bekämpfen und Betroffene nicht allein zu lassen, sondern ihre Erfahrungen ernst zu nehmen und sie direkt zu unterstützen. Weil ein Blick in die Vergangenheit auch zeigt, dass wir uns für all das auf den Staat nicht verlassen können, ist es wichtig, dass wir als Antifaschist*innen uns vernetzen und organisieren.
Erinnern heißt Verändern – solidarische Grüße aus Erlangen!
Hannes Püschel von der Opferperspektive e.V. in Potsdam
Das Erinnern an die Verfolgung sogenannter Asozialer und Gemeinschaftsfremder im Nationalsozialismus ist keine Beschäftigung mit einem vor langer Zeit abgeschlossenen Kapitel deutscher Geschichte. Es verweist auf Kontinuitäten bis in unsere Zeit, Kontinuitäten, die immer noch ein mörderisches Potential in sich tragen. Die meisten Menschen, die in Brandenburg während der „Baseballschlägerjahre“ von Neonazis ermordet wurden, wurden aus sozialdarwinistischen Motiven getötet. Sie wurden angegriffen, geschlagen und oft grausamst zu Tode gequält, weil sie den Tätern als Trinker, Obdachlose, Punks oder Behinderte als lebensunwert erschienen. Mit den Worten „So einer hat kein Recht, unter der strahlenden Sonne zu leben“ brachte einer der Mörder des am 7. November 1992 in Lehnin getöteten Rolf Schulze die dahinterstehende Gesinnung auf den Punkt. Und weil die Getöteten der bürgerlichen Gesellschaft als randständig erscheinen, dauerte es lange, bis sie als Opfer politischer Gewalt anerkannt wurden. Bis heute gibt es für viele von ihnen keinen Gedenkort, weigern sich Lokalpolitiker_innen an gelegentlich von Antifaschist_innen organisierten Gedenkveranstaltungen für sie teilzunehmen. Und nein, ein bloßes pflichtgemäßes Niederlegen eines Kranzes würde diesen Taten auch nicht gerecht werden. Es muss darum gehen, die ideologischen Kontinuitäten, die sich in diesen Morden ausdrücken und die bis in die Zeit des Nationalsozialismus und in die Zeit davor zurückreichen, zu erkennen und mit ihnen zu brechen. Damit es nie wieder geschehe.
Gisela Grunwald, Mitglied des VVN-BdA Berlin-Pankow e.V. und im Förderkreis Gedenkort T4 e.V.
Berlin wurde 1945 von der Roten Armee – in der russische und ukrainische Soldat*innen dienten – befreit vom Hitlerfaschismus und vom Krieg. In Putins Krieg gegen die Ukraine wurden am 02.03.2022 Ziele nahe der Gedenkstätte Babyn Jar angegriffen. Diese erinnert an den Mord von 33.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern durch deutsche Kommandos im September 1941. Weitere Massenmorde an Kiewer Jüdinnen und Juden, Roma, psychisch Kranken, Rotarmisten, Gegnern des NS-Regimes, Zivilisten folgten an dieser Schlucht – so lese ich es in der Berliner Zeitung. Die Demonstration „Stoppt den Krieg“ brachte am 27. Februar 2022 sehr viele Menschen mit ganz verschiedenen Beweggründen zusammen. Auf dem Rückweg beeindruckte mich sehr, in der Tiergartenstraße am Gedenkort T4 folgende Gedenktafel zu lesen:
„Für Grigorij Schamrizkij 1889-1945.
Er war aus der Ukraine.
Er musste in Deutschland als Zwangsarbeiter arbeiten.
Da wurde er schwer krank an Tuberkulose.
Man brachte ihn in ein Krankenlager für Zwangsarbeiter.
Im März 1945 wurde er getötet.
In der Tötungsanstalt Hadamar.
Durch zu viel Beruhigungsmittel.“
Jedes Menschenleben zählt, aber der Krieg zerstört Menschenleben.
ALLE Menschen auf der Flucht sind solidarisch gleich zu behandeln.
ALLE sollen dorthin gelangen, wo sie in Sicherheit und Frieden leben.
Hagen, Ravensbrück (38 Jahre)
Meine erste Berührung mit dem Thema Krieg hatte ich im Alter von 7 mit dem Buch „Oleg oder die belagerte Stadt“. Ich hatte mir das Buch aus der Bibliothek mitgenommen, weil mir das Cover gefiel. Die Geschichte hat tiefe Spuren hinterlassen. Ich sprach viel mit meinen darüber und las die Geschichten meines Großvaters aus dem zweiten Weltkrieg. All das waren sehr intime und nahe Erlebnisse. Mit 11 besuchte ich das KZ Auschwitz, ein weiteres prägenden Erlebnis, und mit 17 dann Yad Vashem in Israel. All dies schuf in mir die Überzeugung das dies nicht richtig sein könnte und das Unverständnis für Menschen, die noch heute so denken. Ich lebe in unmittelbarer Nähe zur Gedenkstätte Ravensbrück und in einer Stadt, in der eine rechtsextreme Partei bei den letzten Wahlen über 20 % der Erst- und Zweitstimmen bekommen hat. Da empfinde ich aktiven Antifaschismus als Pflicht und meine Aufgabe!
Das Thema Ausgrenzung hat leider viele Facetten. Ich lege ein Augenmerk auf aktive Integration von Menschen mit Fluchterfahrung, aber auch auf bewussten Feminismus und ein Miteinander auf Augenhöhe mit allen Erdlingen!
Jascha Übermut, Aktivistin (55 Jahre)
für mich ist das gedenken nie weniger wichtig geworden. ich möchte meinen teil verantwortung dazu beitragen, die geschichte der nationalsozialistischen verbrechen zu kennen und zu verstehen. mit diesem wissen setze ich mich dafür ein, dass verfolgung, ausgrenzung, mord auch heute nicht mehr geschehen sollen, oder sie zumindest sichtbar werden. dazu gehört auch zu verstehen, wie es möglich gewesen ist, dass die nationalsozialistischen verbrechen begangen wurden und dafür zu sorgen, dass diese strukturen und verhalten nicht fortdauern
und innehalten, trauern, den opfern respekt zollen und ihnen einen namen geben
und weiterhin die menschen lieb haben und nicht selbstgerecht werden und nicht müde werden
Rebekka Streck aus Berlin
Ich unterrichte Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin. Sozialarbeiterinnen haben Mädchen und Jungen als ’sexuell schwachsinnig‘ oder ‚unerziehbar‘ kategorisiert und in die Jugendkonzentrationslager Uckermark und Moringen eingeliefert. Sie waren elementar daran beteiligt, dass Mädchen eingesperrt und erniedrigt wurden, dass sie bis zur absoluten Erschöpfung arbeiten mussten oder bei Schnee und Kälte strammstehen. Damalige Jugendfürsorgerinnen in den Jugendämtern und Sozialarbeiterinnen anderer verwaltender Stellen waren damit Teil der nationalsozialistischen Verbrechen. Als Professorin für Soziale Arbeit ist es mir wichtig, dieses Gedenken aufrecht zu erhalten. Denn auch heute nehmen Sozialarbeiterinnen Differenzierungen vor, die das Leben von Kindern und Jugendlichen prägen. Sie entscheiden mit, auf welches Handeln wie sozialstaatlich reagiert wird. Sozialarbeiterinnen sind erstens verpflichtet das Gedenken an die eigene Mittäterinnenschaft und vor allem an die Menschen, die in ihrer Gewalt waren, aufrecht zu erhalten. Und zweitens mahnt uns das Wissen um die Dynamiken von Klassifizieren und Einsperren, von Stigmatisieren und Ausschließung die eigenen machtvollen Entscheidungen kritisch zu reflektieren und demütig eigene Urteile zu hinterfragen. Denn die Geschichte an Orten wie Uckermark und Moringen hat uns gezeigt, dass Soziale Arbeit nicht an sich ‚Gut‘ und lebensrettend ist, sondern zutiefst in ordnungspolitische Herrschaftspraktiken verstrickt ist.
Chris W.
(beschreibt sich als „Nachgeborener zweier Wehrmachtssoldaten, die unter anderem auf der Krim an der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden beteiligt waren, und einer Lehrerin, die im von den von Nationalsozialisten besetzten Polen unweit des Vernichtungslagers Chełmno sogenannte Volksdeutsche unterrichtete.“):
Der Tod von Esther Bejaranao im letzten Jahr markiert den grundsätzlichen Wandel in der Erinnerungskultur und das Problem, dem wir darin ausgesetzt sind. Doron Rabinovicis Projekt »Die letzten Zeugen« machte bereits darauf aufmerksam: Es gibt bald keine Überlebenden der Shoah mehr, die aus ihrer Erfahrung von der Shoah berichten können. Das Gleiche gilt für die Täter:innen: Der Prozess, der aktuell gegen Irmgard Furchner geführt wird, ist rein symbolisch. Er zeigt nur die großen Versäumnisse der BRD, die Verbrechen des NS juristisch zu bearbeiten. Dass die Täter:innen zumindest juristisch so wenig bis gar nicht über ihre Taten gesprochen haben, hatte einen großen Effekt auf die Geschichte der BRD und auch deren Unmöglichkeit zu trauern. Umso wichtiger ist es, diesen »Generationenwechsel« für zwei Formen des Erinnerns weiter zu nutzen: Den Opfern eine Stimme geben und weiter an sie zu erinnern. Und die Mahnung des »Nie wieder« aufrechterhalten, indem man auch die Wunde offen lässt, die die NS-Täter:innen im Postfaschismus hinterlassen haben.
Die Studien über die extreme Mitte zeigen, dass der Antisemitismus in allen Bevölkerungsgruppen Deutschlands kontinuierlich hoch ist. Das ist insofern also nicht neu, aber ohnehin beunruhigend und bedrohlich politik bleibt auch die aktive Politik gegen Hassverbrechen uns Antifaschist:innen überlassen. Besonders irritierend finde ich gerade auf den Querdenker:innen-Demos die schiere Anzahl an Relativierungen der Shoah: Der Judenstern als Symbol für Ungeimpfte, die Vergleich mit Sophie Scholl und anderen der wenigen Widerstandskämpfer:innen gegen den NS etc. Darin scheint mir der ohnehin stark verbreitete Antisemitismus in einer neuen Form sich zeigen zu können. Antifaschist:innen, die sich auf die Tradition des Widerstands gegen den NS beziehen, wie der VVN werden weiterhin von (rechts-)konservativen Parteien und Presse als »linksextrem« angegangen. Das erscheint mir ebenfalls mehr ein Zeichen für die Kontinuität zu sein, mit der Antifaschismus in Deutschland verhindert wird, als eine neue Qualität.
Inga Höfer
„ … und das braune Gift macht sich wieder breit. Bitte kämpft mit aller Kraft dagegen.“
Maria Potrzeba, 2014 (Überlebende des Jugend-KZ Uckermark)
„Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seine Einladung, sich ihm anzuverwandeln, ausschlägt. Es gilt zu mobilisieren, was den Hassenden abgeht: genaues Beobachten, nicht nachlassendes Differenzieren und Selbstzweifel.“ (Carolin Emcke, 2016).
Meine Partnerin und ich sind ältere Lesben (64 und 75 Jahre). Wir sind in Westdeutschland bzw. in Australien sozialisiert. Im Oberen Spreewald, an einem See, habe ich ein Ferienhaus gepachtet. An diesem Ort mit wunderschöner Natur und trügerischer Ruhe erleben wir seit mehr als zwei Jahren ganz massiv Hass, Gewalt, Intrigen, Schikane durch rechts denkende, kleinbürgerlich aussehende, meist ältere und in der DDR sozialisierte Menschen. (…) Neben vielen anderen Geschehnissen waren wir im vergangenen Oktober mit einer schier unglaublichen, in der Gruppe geplanten und durchgeführten, sehr Gewalt behafteten und auch gefährlichen Aktion konfrontiert. Wir sind das ganze Gegenteil von ängstlichen Frauen, aber meine Freundin hat danach gezittert, und mir haben die Zähne geklappert. (…) Bei einer simplen Möbelübergabe mit der/dem HausvorgängerIn des Ferienhauses ist es passiert. (…) Wir kamen mit einer Freundin, und uns gegenüber standen neun zutiefst gewaltbereite Menschen. (…) Der folgenden Brutalität und Gewalt waren wir nicht gewappnet. Von Anfang an wurde allseits gebrüllt, und wir wurden brutal gestoßen. (…) Der ganze Mob brach mit Gebrüll und Gewalt ins Haus herein. Ich wurde allseits geschlagen, angebrüllt, die Kamera wurde weggeschlagen etc. Meine Partnerin und unsere Freundin kamen ins Haus, konnten aber gegen den randalierenden Mob auch nichts ausrichten und erlebten auch die körperliche Gewalt und das Brüllen. Es war wie beim Sturm des US-Kapitols. Nazis lernen so etwas schnell, und sie haben ja auch ihre Medien. (…)
Ich schreibe dies als weiße, westlich sozialisierte, lesbisch lebende Frau. Wohl wissend, dass dies ein privilegierter Status ist, und dass meine afrodeutschen Freundinnen weitaus häufiger, schneller und auch noch tiefer Gewalt erleben als ich dies tue. Wissend, dass meine afrodeutschen Freundinnen es zum Großteil gar nicht wagen, Brandenburg zu betreten oder sich selbst in Berlin nur mit ihrem eigenen Auto fortbewegen und nie öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Das braune Gift ist ihnen, die besonders viel und tiefe Gewalt erlebt haben und die täglich mit Gewalt konfrontiert sind, ein ganz besonders großes Gräuel. Das braune Gift ist, wie Maria Potrzeba sagte, wieder da. Es war nie weg, das braune Gift, und es tritt weltweit seit Jahren wieder offener und mit großer Selbstverständlichkeit zutage. Wie Maria Potrzeba äußerten und äußern Überlebende des Jugend-KZ Uckermark und des KZ Ravensbrück immer wieder und bis an ihr Lebensende den Wunsch, dass wir mit aller Kraft gegen das braune Gift kämpfen. Mein Wunsch an jede und jeden von euch, die ihr dies lest oder hört, ist, das ihr das auch tut: Kämpft mit aller Kraft gegen das braune Gift, seid achtsam, aufmerksam, lasst euch nicht blenden. Geht achtsam mit Sprache um, denn Sprache schafft Realitäten. Sprache kann Ursache, Manipulator, Motivator von Übel sein und Kriege werden im Kleinen wie im Großen mit Lügen und Fake News begonnen. Steht bei falschen Darstellungen, Verdrehungen, Intrigenbildungen umgehend und ohne Zögern auf und korrigiert. Hört zu und nehmt es ernst, handelt und unterstützt, wenn euch eine Person mitteilt, dass sie sich durch Rechte bedroht fühlt. Steht sofort auf, wenn ihr Unrecht spürt und helft, ohne jegliches Zögern, Menschen, die in eurem Beisein Unrecht erfahren, helft und unterstützt umgehend und durch Wort und Tat.
„Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt.“ Esther Bejarano
Esther Bejarano, 1924 – 2021, hat die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Ravensbrück sowie den Todesmarsch überlebt.
Teilzeit-Beamter und ehemaliger Frühpensionär (fast 53 Jahre)
Gerade in der heute sehr emotionsgeladenen Zeit – und damit meine ich nicht nur Corona, sondern z.b. auch Ukraine, China etc. – ist es wichtig, immer wieder an die Gräueltaten zu erinnern, die vor einem Menschenalter in deutschem Namen verübt wurden. Und so lange die afd und andere rechtsextreme Parteien nicht unter 5 % sind, gebe ich auch keine Ruhe.
Welche Themen sind dir/euch als Antifaschist_innen heute besonders wichtig?
S. 1) und: ich habe ein Problem mit dem Begriff Antifaschist.
Denkt ihr, dass sich der gesellschaftliche Zusammenhang verändert? Wie beurteilt ihr die gesellschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahres?
Wie habe ich heute gelesen: in Deutschland darf man keine schlechten Witze mehr machen! Früher hat man geschmunzelt, heute wird sich empört. Es ist ein Trend zur Radikalisierung und Gewaltbereitschaft zu erkennen. Das macht mir Angst! Denn wenn man nicht mehr diskutieren kann, geht die Grundlage der Demokratie verloren. Das will ich nicht!
Wiltrut aus Hamburg
Das es einfach kein Skandal in diesem Land ist, Faschist zu sein. Das eine_r es öffentlich sein kann und im Öffentlichen Fernsehen Sendezeit hat.
Ich kann es nicht glauben im Angesicht der Toten und Überlebenden der Konzentrationslager der Nazis; angesichts der rassistischen Opfer heute.
Wichtig ist, dass wir als Antifaschist_innen weiter erinnern und Verbindungen schaffen untereinander, Verbündete sind und solidarisch miteinander handeln.
Mit Herz dabeibleiben!!!
Ronja aus Hamburg
mir ist das Gedenken wichtig, weil sich die Nazi-Zeit genauso wie die des Kolonialismus immer noch auswirkt auf die heutige Gesellschaft. Und weil keine*r vergessen werden darf! Und es macht Hoffnung, dass es auch damals viele Widerständige Menschen gab, gerade weil die heutigen Verhältnisse gefährlich sind mit Diskriminierungen, Ausgrenzungen, Entsolidarisierung und Angriffen.
Wir brauchen Erinnerungs- und Lernorte gerade an historischen Orten und es braucht dringend eine gesellschaftliche Änderung zur Reflektion der Ausgrenzungsmechanismen.
Für eine Solidarische Haltung gegen alle menschenfeindlichen gruppenbezogenen Diskriminierungen.
Erinnern heißt Handeln – Genozide verjähren nicht – Schulter an Schulter gegen Faschismus – Kolonialismus und Faschismus.
Anja aus Hamburg, Mitglied der Uckermark-Initiative
Nach wie vor finde ich es sehr wichtig, Erinnerungsarbeit zu machen – immer auch mit einem aktuellen Bezug, den es leider immer noch und immer wieder gibt: z.B. Überlebende nicht erst zu nehmen, weiterhin geschlossene Unterbringung für Kinder und Jugendliche, verschiedenste Formen von Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus, Armut, Ausgrenzung …
Es ist die widerständische Vielfalt, die wichtig ist, um die Welt menschlicher zu machen: ob in kontinuierlich arbeitenden Gruppen und Bündnissen, in offenen Angeboten, als Konzertveranstalter:in, als Schreibende, als Musiker:in, als Kneipengänger:in, die*der bei rassistischen Sprüchen einschreitet, oder oder oder.
Es macht mir große Angst, dass in Zeiten der Pandemie rechte Gruppierungen immer salonfähiger werden und befürchte, dass sich das weiter fortsetzt.
Für eine Gesellschaft, die frei von allen Unterdrückungsformen ist!
Feministin und Antifaschistin, Mitglied der Uckermark-Initiative
Ich bin seit über zwanzig Jahren in der so genannten linken Szene. Die Beschäftigung mit dem NS stand dabei gar nicht am Anfang, sondern wurde erst mit der Zeit immer wichtiger. Wie ein roter Faden, der für mich so vieles erklärt, was ich in dieser Gesellschaft als falsch, ungerecht und auch akut bedrohlich empfinde. Diese Gesellschaft – wie auch viele mit ihr verbundenen Gesellschaften – ist nicht ohne den Nationalsozialismus zu denken, ist nicht zu verstehen ohne, dass wir uns darüber bewusst werden, dass die meisten von uns die Nachfahren von Täter:innen oder von Verfolgten und Ermordeten sind. Und da Deutschland (leider) nicht abgeschafft ist, müssen wir daraus lernen und kritisch damit umgehen. Mit den Kontinuitäten, den Überbleibseln und Neuerungen der NS-Ideologie, ihren neuen Auswüchsen und neuen Phänomenen, die aber genauso Potenzial zur Vernichtung haben könnten. Also ist ein Tag wie heute für mich ein Innehalten und Gedenken an die Ermordeten, an damals. Und eine Vergewisserung, dass wir uns heute positionieren und kämpfen müssen.
Mir ist es wichtig, dass gesehen wird, wie wichtig der Widerstand gegen den NS schon vor 45 war, aber auch danach: wie wichtig das Überleben der Verfolgten war, wie lange es diese Bewegung schon gibt, welches Wissen und welche Erfahrungen Antifaschist:innen teilen können. Gleichzeitig ist mir enorm wichtig, dass das Gedenken an den NS nicht in alten Traditionen stehen bleibt sondern sich verändert, an heutige Fragen andockt und viel mehr Leute mitnimmt. Wir gedenken ja nicht nur den Antifaschist:innen, sondern wir sind Antifaschist:innen, weil wir uns gegen alles stellen, was nach Faschismus riecht. Da ist allerdings noch Luft nach oben. Vor allem in der Vermittlung.
Mich beunruhigt, dass es immer mehr Leute zu geben scheint, die sich damit schwer tun, Antisemitismus zu erkennen und zu verurteilen. Mich beunruhigt auch, dass es so viele Phänomene und Diskurse gibt, die als ’noch nicht so schlimm‘ gesehen und dann laufen gelassen werden. Dass Impfgegner:innen und extrem Rechte es als „natürlich“ verkaufen können, wenn die Alten und Kranken zu Tausenden während der Pandemie sterben. Oder das Gewöhnen an das Sterben im Mittelmeer. Oder dass Russland schon seit Jahren Oppositionelle, LGBTI und Geflüchtete verfolgt und ermordet. Oder dass es kein Bewusstsein dafür zu geben scheint, dass kontinuierlich seit 1945 Obdachlose und Sexarbeiter:innen verletzt und ermordet werden. Aber ja, ich fühle mich auch oft überfordert damit, mich zu allem zu richtig positionieren und zu handeln. Also sich zu interessieren, aber dabei nicht abzustumpfen. Und solidarisch zu denken, Widersprüche auszuhalten. Vielleicht ist es deswegen am beunruhigendsten, dass sich insgesamt immer mehr Menschen aus einer Idee von einer gemeinsamen, utopischen Gesellschaft rausziehen.
Bini Adamczak, Berlin
Die Zeiten, in denen es noch heißen konnte „Wehret den Anfängen“ sind längst vorbei. Aber nicht alles, was zum wiederholten Male begonnen wird, kann deshalb auch zum wiederholten Male auf selbe Weise fortgesetzt werden. Antifaschistinnen gehen heute anders in den Kampf als vor 90 Jahren. Sie wissen heute, was Goebbels gesagt hat, nachdem die Nazis die Macht hatten: „Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben Euch doch früher die […] Freiheit der Meinung zugebilligt –, ja, Ihr uns, das ist doch kein Beweis, dass wir das Euch auch tuen sollen! […] Dass Ihr das uns gegeben habt, – das ist ja ein Beweis dafür, wie dumm Ihr seid!“. Antifaschistinnen können diese Sätze in Erinnerung halten, sie der Öffentlichkeit immer wieder in Erinnerung rufen, so dass niemand mehr sagen kann: Ach, ich habe die Lügen der Nazis geglaubt. Antifaschistinnen erinnern auch, um zu verhindern, dass die Nazis die alte Macht noch einmal bekommen. Aber sie erinnern nicht nur für die Zukunft, nicht nur für die Gegenwart. Und sie gedenken auch nicht nur der nationalsozialistischen Verbrechen, sondern auch derer, die sich ihnen in den Weg stellten und derer, die unter ihnen litten und starben. Wenn sie die von den Nazis Ermordeten erinnern, dann tun sie es auch der Erinnerten wegen.
Es reicht nicht, nur die Nazis zu bekämpfen, wir müssen zugleich die Bedingungen bekämpfen, die sie immer wieder hervorbringen. Wenn der Widerstand sich auf seinen Wortsinn beschränkt, auf das Widerstehen, das Aufhalten, das Verteidigen, bleibt er im besten Fall stehen. In Zeiten der vielfachen Krisen – der ökonomischen, ökologischen, pandemischen, kriegerischen – kann es keine Verteidigung des Status Quo geben.
Die Macht der rechten Opposition in der Pandemie war begrenzt. Aber sie erschien über weite Strecken der Pandemie als einzige Opposition. Die Linke, die gegen diesen rechten Angriff kämpfte, verschwamm in der öffentlichen Wahrnehmung meist mit der Mitte, hier: mit der Pandemiepolitik der Bundesregierung. Anders als bei feministischen und ökologischen Kämpfen, waren es so selten linke Perspektiven, die laut zu hören waren und Rahmen und Richtung der Debatte mitbestimmten, sondern meist rechte. Wo aber die Linke die Themen, die Fragen, die Begriffe setzt, verliert die Rechte schnell den Anschluss oder verschwindet zumindest von den Titelseiten. Weiterhin gilt im Antifaschismus: Angriff ist die beste Verteidigung.
Mitglied der Uckermark-Initiative, Berlin (49 Jahre)
Weil ich es wichtig finde, dass die Überlebenden und ihre Angehörigen und auch die Angehörigen der Ermordeten ernst genommen werden. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft wollte lange nichts von ihren Verbrechen wissen, die Stimmen von Betroffenen wurden und werden abgewehrt. Ich finde es wichtig, dass Unrecht als solches benannt wird, dass die Betroffenen Anerkennung erfahren. Außerdem sind die Einstellungen und Denkweisen, die solche Verbrechen ermöglicht haben, leider immer noch da. Also gilt die Parole „Erinnern heißt kämpfen“ nach wie vor.
Was mir heute besonders wichtig ist, ist Solidarität. Auch wenn wir als Linke und Antifaschist_innen unterschiedliche Schwerpunkte haben, für was wir uns einsetzen oder was wir bekämpfen – wir sollten an einem Strang ziehen. Stattdessen streiten wir uns über die „richtige“ Art und Weise, uns auszudrücken oder spielen diese verschiedenen „Ismen“ gegeneinander aus. Als ob das Gegensätze wären. Ist Rassismus wichtiger zu bekämpfen als Antisemitismus? Oder umgekehrt? Was ist mit Klasse und Klassismus? Ich finde inhaltliche Auseinandersetzungen wichtig, aber das ist manchmal echt abgehoben. Und wie krass persönlich und verletzend das oft ist, das macht mir Angst.
Ich finde es extrem beängstigend, wie „normal“ Antisemitismus und Verschwörungsideologien schon (wieder) geworden sind. Besonders der israelbezogene Antisemitismus wird ja von „links“ gepusht – was eine Bekämpfung schwieriger macht. Mir bleibt immer wieder der Mund offenstehen, wenn ich höre, was Kolleg_innen oder Leute aus meinem Umfeld so „frei von der Leber“ ablassen – die denken dann noch „das wissen doch alle“ und sind erstaunt, wenn ich sie kritisiere. Ich arbeite bei einer großen Menschenrechtsorganisation und spiele immer wieder mit dem Gedanken, zu kündigen – wegen dem Umgang mit dem Thema Antisemitismus dort. Zwei Kolleg_innen haben das schon getan. Und das sind die vermeintlich „Guten“. Da gibt’s echt noch viel zu tun!